20.11.2023 – OLG Hamm: Haftung bei Fahrradsturz ohne Berührung des querenden Autos

OLG Hamm vom 9.5.2023, Az. 7 U 17/23

Eine Radfahrerin fuhr erlaubterweise mit ihrem Rennrad auf einem linksseitigen vorfahrtsberechtigten Fahrradweg.

Eine Autofahrerin näherte sich aus einer untergeordneten Querstraße von links. Diese war von der Radfahrerin schwer einsehbar. Die Klägerin stürzte, ohne dass es zu einer Berührung kam, weil sie aus Angst vor einem Zusammenstoß eine Vollbremsung machte. Sie hatte laute Motorengeräusche aus der Straße vernommen. Sie verletzte sich schwer mit Dauerschaden an beiden Armen. Die Radfahrerin verlangte von der Versicherung der Autofahrerin Schadenersatz und Schmerzensgeld.

Sie war der Ansicht, dass der Sturz durch das schnelle Annähern des Autos aus der Seitenstraße verursacht wurde. Es käme nicht darauf an, ob es tatsächlich zu einer Berührung der Fahrzeuge kam.

Die Versicherung verweigerte die Zahlung. Die Autofahrerin habe sich vorsichtig der Vorfahrtsstraße genähert und sei sogar vor der gestrichelten Linie zum Stehen gekommen. Ihr sei daher kein Verschulden anzulasten.

Das OLG Hamm entschied, dass die Autofahrerin nicht hafte.

Sie sei nachweislich vorsichtig an die Kreuzung herangefahren, ein Verschulden sei hier nicht erkennbar. Auch eine Haftung aus Betriebsgefahr scheide aus. Für die Zurechnung der Betriebsgefahr komme es damit nämlich darauf an, dass die Schadensursache in einem nahen örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit einem bestimmten Betriebsvorgang oder einer bestimmten Betriebseinrichtung des Kraftfahrzeugs steht. Allerdings reiche die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kraftfahrzeugs an der Unfallstelle für eine Haftung nicht aus.

Die Geschädigte habe den Zusammenhang zwischen dem Betrieb des beklagten Fahrzeugs und ihrem Sturz nicht schlüssig dargelegt. Ein Verstoß gegen § 8 Abs. 2 Satz 3 StVO liegt nicht vor. Das Beklagtenfahrzeug sei vorliegend unstreitig mindestens einen halben Meter vor der gestrichelten Linie des querenden Fahrradweges (Schutzstreifen im Sinne von Nr. 22 Zeichen 340 Ge- oder Verbot Ziffer 2 zu § 42 Abs. 2 StVO) und damit noch vor dem Kreuzungs-/Einmündungsbereich zum Stehen gekommen. Nur der Eindruck, dass sich ein Fahrzeug schnell nähere, wie die Geschädigte sagte, genüge nicht. Es sei daher nicht nachgewiesen, dass ein Zusammenhang zwischen Fahrverhalten und Sturz bestand.